06. Dezember 2022
- Vechta/Oldenburger Land
In respektvoller Atmosphäre findet erstmals ein öffentlicher Austausch zwischen Betroffenen und Offizialat statt. Opfervertreter fordern Zuhören, Unterstützung und angemessene Entschädigung. Weihbischof Theising sagt weitere Gespräche zu.
Vechta/Oldenburger Land. Zuhören, finanzielle Entschädigung und klare Benennung von Verantwortlichkeiten – das sind Forderungen, die Betroffene sexualisierter Gewalt durch Geistliche am Freitagabend (2. Dezember 2022) gegenüber der katholischen Kirche im Oldenburger Land formuliert haben. Dr. Hans Jürgen Hilling und Bernd Theilmann aus dem Kreis der Betroffenen hatten mit Offizial und Weihbischof Wilfried Theising sowie dem Historiker Professor Dr. Thomas Großbölting vor rund 100 Interessierten im Vechtaer Antoniushaus über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gesprochen. Auch das Publikum beteiligte sich mit zahlreichen Fragen.
Der von einer respektvollen Atmosphäre geprägte Informationsabend war das erste öffentliche Gespräch zwischen Betroffenen sexualisierter Gewalt und einem Offizial als Vertreter der Bistumsleitung im niedersächsischen Teil der Diözese Münster. Moderiert wurde es von Pfarrer Dr. Marc Röbel, Akademiedirektor der Katholischen Akademie Stapelfeld und des St. Antoniushauses, und Christel Plenter vom Institut für Diakonat und Pastorale Dienste in Münster.
Bernd Theilmann, dessen Erfahrungen in der von einem Forscherteam um den Historiker Großbölting erarbeiteten Untersuchung über sexuellen Missbrauch im Bistum Münster aufbereitet werden (u.a. S. 55-70), sagte, der Abend sei „ein guter Anfang“ gewesen. Ein solch offener Austausch zwischen Betroffenen und Offizialat sei vor Jahrzehnten nicht möglich gewesen. Wichtig sei, dass den Betroffenen weiter „zugehört“ werde. Theilmann wünschte sich, dass die Vernetzung von Betroffenen im Oldenburger Land von Seite des BMO unterstützt werde.
Zugleich mahnte Hilling, die Opfer von sexualisierter Gewalt sollten „zu ihrem Recht kommen“. Das System und die Höhe der derzeitigen Anerkennungsleistungen durch die katholischen Bistümer in Deutschland nannte er „hart an der Grenze zum Hochproblematischen“ (Anmerkung des Bischöflich Münsterschen Offizialates: Informationen zur Anerkennungszahlung sowie zur Beantragung finden Sie unter www.anerkennung-kirche.de). Hilling forderte statt der bisherigen freiwilligen Zahlungen der Bistümer Schmerzensgeld für die Betroffenen sowie einen „ökonomischen Ausgleich“, da manche der Betroffenen mit „schweren psychischen und beruflichen Folgen“ zu kämpfen hätten. Außerdem forderte Hilling, dass die Verantwortung früherer kirchlicher Verantwortungsträger für die Vertuschung von Verbrechen deutlich benannt werden solle.
Theilmann und Hilling betonten, dass es in den Kirchengemeinden viel implizites Wissen über sexuellen Missbrauch gegeben habe. Theilmann sagte, im Falle des mehrfach beschuldigten Neuenkirchener Pfarrers Bernhard Janzen (1896-1972) hätten insbesondere die Ärzte der Neuenkirchener Clemens-August-Klinik ihren Kindern engen Kontakt zu dem Geistlichen untersagt – offenbar im Wissen, dass dieser übergriffig werde. Hilling zeigte sich „schockiert“ von der damaligen „Rechtsferne“ des Handelns der Bistumsleitungen und überrascht darüber, wie deutlich in manchen Fällen Staatsanwälte mit der Bistumsleitung bei der Vertuschung von Straftaten kooperiert hätten.
Weihbischof Theising merkte an, die Untersuchung für das Bistum Münster habe unterstrichen, dass Missbrauchstaten keinesfalls Einzelfälle gewesen seien, sondern es in der Kirche eine „systemische Begünstigung“ sexualisierter Gewalt gegeben habe. Das nicht anzuerkennen, hieße, den „Betroffenen nicht gerecht zu werden“, so der Bischöfliche Offizial für die katholische Kirche im Oldenburger Land.
Für die Gegenwart unterstrich Theising, dass überführte und verurteilte Missbrauchstäter nicht im priesterlichen Dienst verbleiben könnten. Zugleich würden alle zur Anzeige gebrachten Fälle heute zunächst den staatlichen Behörden übergeben, bevor das Bistum die Fälle intern bearbeite.
Mit Blick auf die von Theilmann geäußerte Erwartung, dass Betroffenen weiterhin zugehört werde und die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt weitergehe, sagte Theising, er wolle im Gespräch mit den Betroffenen bleiben um „zuzuhören und zu schauen, was wir konkret machen können“.
Moderator Röbel resümierte, die historische Aufarbeitung durch die Münsteraner Studie sei ein „wichtiger Meilenstein“, der die Geschichte der Verbrechen und ihrer Vertuschung „schonungslos ans Licht bringe“. Der einzige Lichtblick im düsteren Thema sexualisierter Gewalt sei die Selbstermächtigung der Betroffenen, die die „Unsagbarkeit“ des Themas überwunden hätten.
Jene Fragen des Publikums, die bis zum Ende des Gesprächsabend nicht adressiert werden konnten, wurden gesammelt und dem Bischöflich Münsterschen Offizialat übergeben. Sie sind weiter unten dokumentiert. Weihbischof Theising sagte, er hoffe weitere Betroffene sexualisierter Gewalt fänden durch die Studie, durch den Informationsabend oder die folgende Berichterstattung den Mut, sich zu melden und ihre Erfahrungen öffentlich zu machen.
Dr. Philipp Ebert
Pressesprecher des Bischöflich Münsterschen Offizialates
Diese Fragen in der Rubrik "Der Blick zurück" konnten nicht beantwortet werden:
- Und die Opfer? Entschädigungszahlungen zahlen, Therapien / weitere Handlungsempfehlungen, weitere Handlungskonsequenzen?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Die Kirche und auch das Bistum Münster zahlen sog. Anerkennungsleistungen und übernehmen Therapiekosten. Diese Zahlungen erfolgen nicht aus Kirchensteuermitteln (Bistum Münster). Informationen zu diesen Zahlungen finden Sie unter: Leistungen in Anerkennung des Leids - Bistum Münster (bistum-muenster.de)"
- Gesellschaftlicher Zusammenhang der Sonderstellung der Kirche durch die Konkordatsvorteile: eigener Staat im Staat, auch juristisch -> Änderung oder Verzicht darauf
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Es ist auch eine Frage der Politik, ob sie an dem Status der Katholischen Kirche etwas ändern möchte. Da die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik nicht mehr konfessionell gebunden ist, wird dieses Thema sicherlich noch in Zukunft an Bedeutung gewinnen."
- Sind die Entschädigungszahlungen abgeschlossen?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Nein! Es gibt keine Entschädigungsleistungen sondern sog. Anerkennungszahlungen. Diese Bezeichnung hängt damit zusammen, dass es sich um Zahlungen außerhalb einer rechtlichen Auseinandersetzung handelt.
- Warum diese großen Unterschiede?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Diese Frage kann nicht beantwortet werden, da die zuständige Kommission keine Begründungen für die getroffenen Entscheidungen gibt. Dieser Umstand wird auch von der Interventionsstelle des Bistums deutlich kritisiert."
- Wieso kann eine „unabhängige Kommission“ über das Leid des Einzelnen entscheiden?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Das wurde so von der Bischofskonferenz entschieden."
- Gibt es eine Möglichkeit, gegen die UKA-Entschädigung Einspruch einzulegen?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Ja, die gibt es seit 2023. Weitere Informationen finden Sie unter diesem Link: 5,4 Millionen Euro für Betroffene sexuellen Missbrauchs - Bistum Münster (bistum-muenster.de)"
- Warum ist nach 2010 nichts oder so wenig geschehen seitens der Kirche?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Es ist schon Einiges passiert und in die Wege geleitet worden. Zahlreiche Präventionsschulungen seien als Beispiel genannt. Aber auch das Bistum Münster hat ein unabhängiges Gutachten durch Historiker der Universität Münster erstellen lassen. Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche (uni-muenster.de) Das muss Grundlage für weitere Schritte sein."
- Zölibat + Konkordat Ursache? -> zu ändern?
- Ab wann sind in den Aufzeichnungen des Bistums die ersten Fälle aufgeführt und gibt es einen ansteigenden, gleichbleibenden oder gleich bleibenden Verlauf der gefundenen Fälle?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Hierzu sei auf das Gutachten der Historiker verwiesen: Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche (uni-muenster.de)."
- Ich glaube nicht, dass die Zeit der Differenzierung vorbei ist – die Entwicklung kann doch nur in Wechselwirkung weitergehen
- Kann die Dunkelfeldstudie etwas aussagen über die Anzahl der Täter?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Das müssten Fachleute einschätzen. Wahrscheinlich aber auch nur hochgerechnete und angenommene Zahlen im Ergebnis."
- Stehen in den Akten die einzelnen Tatbestände mit Namen von Tätern und Opfern und Art der Tat? Wenn ja: warum ist die Justiz nicht eingeschaltet worden?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"In den meisten Fällen wird Missbrauch nicht dokumentiert. Allenfalls in Urteilen oder bei Untersuchungsergebnissen findet man etwas dazu. Die Justiz wusste in vielen Fällen nichts von den Taten, weil sie nicht oder zu spät (Verjährung) eingeschaltet worden ist."
- Wie definiert mein ehemaliger Schüler Hans Jürgen Hilling heute sein Verhältnis zur kath. Kirche? Hat Kirche für ihn noch eine Zukunft? Was müsste sich für ihn an Kirche ändern, damit sie wieder das für Jugendliche werden kann, was sie für ihn als Jugendlicher – auch – war?
Diese Fragen der Rubrik "Der Blick zurück" konnten beantwortet werden:
- Warum haben die Kinder bei ihren Eltern kein Ohr (Vertrauen) gefunden?
- Inwiefern haben Juristen beim Vertuschen mitgeholfen?
- Konkretisierungen Missbrauch im Oldenburger Land
- Zölibat: Ursache des Missbrauchs?
- Ist der Missbrauch in der ev. Kirche „kleiner“ als in der kath. Kirche -> spielt also Ehelosigkeit die große Rolle?
Diese Fragen der Rubrik "Der Blick nach vorne" konnten nicht beantwortet werden:
- Wie bekommen wir die vielen jungen, enttäuschten Gläubigen zurück in die Gemeinschaft der Kirche? Den ohne gemeinsamen Glauben begeben wir uns in eine Sackgasse.
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Die Kirche hat an Glaubwürdigkeit verloren - durch eigenes Versagen. Man wird allenfalls durch das überzeugende Handeln wieder erreichen können, dass Menschen, die sich von der Kirche abgewandt haben, vielleicht den Weg wieder zurückfinden. Aber es darf bei allem nicht dieses Ziel im Vordergrund stehen; denn dann geht es wieder nur um „die Kirche“."
- Wo bleibt unsere gute Kirche? Sie ist von Christus gegründet für alle Zeiten. Sie wird nicht untergehen. Sie hat schon viele Krisen durchgestanden. Ich glaube an Christus, auf den wir wieder neu hoffen müssen. Er hat gesagt. Ich bin bei euch. Sein Geist wird uns wieder erneuern und die Kirche.
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Jede/r Einzelne, der sich engagiert und einbringt, kann dazu beitragen, dass die Kirche wieder anders wahrgenommen wird, als dies derzeit der Fall ist. Die tausenden von Mitarbeitenden in Kirche und Caritas können dafür ein Beispiel sein; denn es wird auch immer noch unendlich viel Gutes getan!"
- Haben die Ergebnisse der Studie Einfluß auf das Verständnis des Weihepriestertums?
- Alle Informationen über Missbrauchstaten und Täter werden dem Bischof angetragen. Warum musste bislang noch kein Bischof zurücktreten? Verteidigen die Bischöfe die Kirche oder ihre Ämter?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Diese Fragen können nur die Amtsträger selber beantworten. Verstörend ist es allerdings schon, dass noch keiner konsequent diesen Schritt gegangen ist."
- Strukturelle Ursachen: wann & wie behandelt?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Das wird eine der Aufgaben der Aufarbeitung sein müssen, sich damit auseinanderzusetzen."
- Warum musste bislang kein Bischof zurücktreten?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Antwort siehe oben. Es gab wohl nur Rücktritte, wenn ein Bischof selber nachgewiesenermaßen Täter war."
- Auswirkungen aufs Weihepriestertum?
- Wie lange noch Schneckentempo?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Wenn man sich vor Augen hält, wie lange Veränderungen in dieser Kirche brauchen, dann wird man da nicht viel erwarten können. Aber es ist gut, wenn sich überhaupt etwas tut. Für Missbrauchsbetroffene dauert das alles sicherlich viel zu lange. Aber nichts zu tun, wäre der völlig falsche Weg."
- Wo liegt in Zukunft die Priorität bei der Amtskirche, was den Umgang mit diesem Thema angeht? Jenseits aller relativierenden Verweise auf andere Bereiche, in denen Missbrauch geschieht (z.B. in Familie) und angesichts der im Referat deutlich gewordenen strukturellen Ursachen bzw. Begünstigungsfaktoren von Missbrauch?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Auch hier wird man abwarten müssen, was die eigenen Aufarbeitungskommissionen der Bistümer bewirken können. Aber auch eine mögliche Aufarbeitungskommission, die von der Politik für alle gesellschaftlichen Bereiche eingesetzt werden könnte, könnte zu einem Handlungsdruck führen."
- Was macht die Kirche jetzt für die Opfer?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Hinweise dazu finden sich auf folgender Internetseite: Hilfe bei sexuellem Missbrauch - Bistum Münster (bistum-muenster.de)"
- Gibt die Studie Handlungsempfehlungen?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Nicht unmittelbar. Aber sie liefert Grundlagen auf denen man weitere Schritte gehen könnte."
- Welche Handlungskonsequenzen sieht das Bistum?
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Hier wird auf erste Ergebnisse verwiesen, die der Bischof im November 2022 mitgeteilt hat Kampf gegen sexuellen Missbrauch geht weiter - Bistum Münster (bistum-muenster.de)"
- Welche Handlungskonsequenzen wünschen die Opfer?
- Kleine Entschädigung für Betroffene, kein Geld kann das Leid rückgängig machen; stattdessen: großer Fördertopf für Therapiezentren (allg. f. Betroffene, egal ob in Kirche oder Familie) / Psychologen, Mediziner, Pädagogen und am Ende auch Seelsorger
Hierauf antwortet im Nachgang Peter Frings, weisungsunabhängiger Interventionsbeauftragter des Bistums Münster:
"Ja, kein Geld der Welt kann das erlittene Leid und Unrecht auch nur ansatzweise ausgleichen. Es wäre auch eine Aufgabe der Kirche, sich über das, was bisher schon geleistet wird, weiter für betroffene Menschen einzusetzen (Stichwort: Unterstützung bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, Schaffung von Beratungsangeboten, … )."
Diese Fragen der Rubrik "Der Blick nach vorne" konnten beantwortet werden:
- Es ist jetzt wichtig, dass der Synodale Weg aktiv wird und einen Abschluss findet, sonst sind die Mitglieder unserer Kirche woanders untergekommen!
- Warum gibt es nicht ein Gericht (Staat), der Missbrauchstäter bestraft; Erzieher, Lehrer u.ä. werden aus dem Dienst entlassen