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Historiker diskutiert mit kirchlichen Mitarbeitenden über sexualisierte Gewalt

30. November 2022

Im Rahmen eines Klausurvormittages für kirchliche Mitarbeitende hat jetzt Prof. Dr. Thomas Großbölting Erkenntnisse über die Geschichte sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster vorgestellt. Der Historiker an der Universität Hamburg war Leiter der unabhängigen Untersuchung der Universität Münster zu sexualisierter Gewalt im Bistum Münster, die im Juni 2022 vorgestellt wurde.

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Der Historiker Prof. Dr. Großbölting (von links) im Gespräch mit dem Interventionsbeauftragten des Bistums Münster, Peter Frings) und Moderator Dr. Marc Röbel.

Etwa 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem kirchlichen Dienst im Oldenburger Land waren zu der Veranstaltung in der Katholischen Akademie Stapelfeld gekommen. Dies war bereits der zweite Klausurvormittag speziell für kirchliche Mitarbeitende. Moderator war Akademiedirektor Dr. Marc Röbel.

Im niedersächsischen Teil des Bistums Münster (Offizialatsbezirk Oldenburg), der vom Bischöflich Münsterschen Offizialat (BMO) in Vechta verwaltet wird, habe es nach Erkenntnissen der Studie in den Jahren 1945 bis 2018 insgesamt 27 beschuldigte Geistliche gegeben. 93 Betroffene von sexualisierter Gewalt seien bekannt, erklärte Großbölting. Die Mehrheit der Übergriffe habe in den 1950er und 1960er Jahren stattgefunden.

In seinem Vortrag erklärte Großbölting auf Grundlage der Recherchen des Forscherteams, dass es im BMO ab 1948 und bis in die 1970er Jahre hinein ein „hohes Wissen“ um Taten sexualisierter Gewalt durch Kleriker gegeben haben müsse. Im gesamten Bistum Münster seien nach bisherigen Erkenntnissen im gut 70 Jahre umfassenden Untersuchungszeitraum der Studie etwa 4,2 bis 4,5 Prozent der Priester sexueller Gewalt beschuldigt worden. Dieser Anteil decke sich etwa mit den Erkenntnissen aus anderen Bistümern, so Großbölting.

Insbesondere im Oldenburger Land habe man es aber mit einer Reihe von Intensivtätern zu tun gehabt, so Großbölting, darunter die in der Studie namentlich genannten Pfarrer Bernhard Janzen (Neuenkirchen) und Helmut Behrens (Neuscharrel).

Ausdrücklich verwahrte sich Großbölting gegen die Annahme, eine etwaige Homosexualität von Priestern hätte zu den Übergriffen geführt. Man dürfe hier keine falschen Schlüsse ziehen, warnte der Historiker. Es sei davon auszugehen, dass der Großteil der Beschuldigten dem „regressiv-unreifen Tätertypus“ zuzuordnen seien. In der Folge sei es dort zu sexuellen Übergriffen gekommen, wo sich Gelegenheit geboten hätte, insbesondere also gegenüber den Priestern anvertrauten Kindern. Die ersten Taten seien dabei oft etwa 10 bis 12 Jahre nach der Priesterweihe erfolgt.

Weil im Großteil des Untersuchungszeitraums vor allem Jungen Messdiener gewesen seien, seien männliche Kinder und Jugendliche auch unter den Betroffenen stärker vertreten als Mädchen, erklärte Großbölting. Der Studienleiter zitierte einen Betroffenen, der erklärt habe, dass der Missbrauch gerade deshalb stattgefunden habe, „weil ich katholisch bin“. Die „Gottesliebe“ der Kinder sei auf den als „heiligen Mann“ stilisierten Geistlichen missbräuchlich umgelenkt worden, erklärte Großbölting. Dass die meisten Meldungen von Betroffenen erst ab 2010 eingegangen seien, führte Großbölting darauf zurück, dass Betroffene erst nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe am Berliner Canisiuskolleg darauf hoffen konnten, dass ihren Schilderungen geglaubt werde.

Mit Blick auf die Verantwortung der Kirchenleitung konstatierte Großbölting, die kirchlichen Verwaltungen im Bistum, das Generalvikariat in Münster und das BMO in Vechta, hätten Intensivtätern in der Vergangenheit über Jahrzehnte das Signal gegeben, die Taten zwar nicht gutzuheißen, aber vor Sanktionen zurückzuschrecken um „die Priesterweihe des Täters zu retten“. Bei der Erstellung der Studie seit dem Jahr 2019 hätten die Historiker aber „guten Zugang“ zu den Archiven im Generalvikariat in Münster und im Offizialat in Vechta erhalten. Die Forscher hätten „gute Unterstützung durch das Bistum erhalten“, sagte Großbölting.

Neben Tätern, Betroffenen und den Kirchenleitungen legte Großbölting in seinem Vortrag besonderes Augenmerk auf die „strukturellen Gegebenheiten“ von Missbrauch im Bistum Münster. Ob die römisch-katholische Kirche ein Hotspot sexualisierter Gewalt sei, sei „unsicher“, so der Historiker. Experten gingen demnach davon aus, dass Missbrauch meist in Familien stattfinde, weil hier „Gelegenheitstrukturen“ ausgenutzt würden. Das entlaste die Kirche aber nicht von der Suche nach den „katholischen Spezifika“: nach jenen „Strukturen des Katholischen, die Missbrauch und Vertuschung befördern“, wie Großbölting sagte. Zentrales Problem sei einerseits die umfassende „Bischofsmacht“ und andererseits das Fehlen von „Gegenstrukturen“, daneben der „Klerikalismus“.

Dem Vortrag Großböltings schloß sich eine intensive Diskussion mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an, an der auch der Interventionsbeauftragte des Bistums, Peter Frings, teilnahm. Für die „schwierige Arbeit“ der historischen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und der Interventionsarbeit dankte Moderator Dr. Röbel abschließend Großbölting und Frings. Röbel stellte klar, dass mit der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie „kein Punkt“ gesetzt werde, sondern „ein Doppelpunkt“: Die kircheninterne und gesellschaftliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt müsse unbedingt weitergehen, so Röbel.

Info: Am 2. Dezember (Freitag) findet um 19.30 Uhr im Antoniushaus in Vechta eine öffentliche Informationsveranstaltung zum Thema statt. Prof. Dr Großbölting wird zentrale Erkenntnisse der Missbrauchsstudie vorstellen. Im Anschluss findet eine Podiumsdiskussion mit Prof. Großbölting, Dr. Hans Jürgen Hilling und Bernd Theilmann aus dem Kreis der Betroffenen sowie Offizial und Weihbischof Wilfried Theising statt. Der Abend steht allen Interessierten offen.Moderiert wird die gemeinsam von der Katholischen Akademie Stapelfeld (KAS) und dem Bischöflich Münsterschen Offizialat verantwortete Veranstaltung von PD Dr. Marc Röbel, Akademiedirektor der KAS und des Antoniushauses, und Christel Plenter, Institut für Diakonat und pastorale Dienste in Münster. Eine Anmeldung ist erforderlich bei Ruth Bäker per E- Mail an rbaeker@ka-stapelfeld.de<http://ka-stapelfeld.de/> oder unter 04471-188 1140. Der Eintritt ist frei.

 

Philipp Ebert
Pressesprecher des Bischöflich Münsterschen Offizialates