Herr Professor Loffeld, Sie sind einer der Hauptredner beim 1. Oldenburger Zukunftsforum zur Kirchenentwicklung in Pastoralen Räumen. Als Priester des Bistums Münster und Hochschullehrer für Pastoraltheologie leben Sie in den Niederlanden. Was erleben Sie dort und was lässt sich auf die Situation im Bistum Münster übertragen?
Auch wenn es paradox klingt: Vieles hier ist der Situation in Deutschland sehr ähnlich und doch ist alles anders. Die Niederlande sind stark durch den Calvinismus geprägt, der moderne Kapitalismus ist hier geboren worden – und auch der europäische Kolonialismus hat hier eine seiner Wurzeln.
Gegenüber Deutschland ist die Gesellschaft in den Niederlanden stärker individualisiert. Es herrscht viel mehr Eigenverantwortung und daher auch Effektivität. Zugleich gibt es weniger religiöse Traditionen. Nur noch 30 Prozent der Niederländer sind Mitglied einer religiösen Gemeinschaft, nur noch 20 Prozent glauben im transzendenten Sinn an Gott.
Damit will ich sagen: Die Gesellschaft ist zwar eine andere. Zugleich erleben die Niederlande aber mit Blick auf die religiöse Entwicklung etwas Ähnliches wie Deutschland und sind darin Deutschland voraus. Traditionen brechen ab, die Gesellschaft wird säkularer, also weniger religiös.
Trotzdem könnte man meinen, dass in Deutschland – vor allem in manchen stark katholisch geprägten Gebieten – die kirchliche Welt „noch in Ordnung“ sei. Ist das ein Trugschluss?
Nun, der religiöse Grundwasserspiegel sinkt auch in Deutschland, bei aller vordergründigen Stabilität der Institution Kirche. Und trotz aller Wertschätzung, die der Kirche für ihre gesellschaftliche Arbeit entgegengebracht wird und trotz der Integrationskraft, die die Pfarreien immer noch haben. Die Kirchenkrise beschleunigt diesen Prozess nun fast exponentiell.
Wenn wir die moderne Gesellschaft allerdings neben unser binnenkirchliches Leben stellen, erleben wir manchmal aber auch eine Form von Kirchlichkeit, die aus der Zeit gefallen ist. Und manchmal senden wir ganz viel, sehen allerdings zu wenig, dass wir häufig auf kein wirkliches Bedürfnis mehr treffen. Daher stelle ich die Frage, ob wirklich jeder Mensch religiös ist beziehungsweise Gott braucht. Aus Untersuchungen wissen wir, dass auch die Frage nach Sinn nicht mehr zur Grundausstattung vieler Menschen im 21. Jahrhundert zu gehören scheint. Auch darüber werden wir beim 1. Oldenburger Zukunftsforum sprechen.
Wie sieht denn dann die Kirche in 10, 20 und 30 Jahren aus?
Es wird auch in Zukunft starke geistliche Zentren geben, in denen freiwillig engagierte Menschen gemeinsam Liturgie feiern, Gemeinschaft leben, Zeugnis ablegen und caritativ tätig sind. Wo Religion nur Kultur war und ist, wird sie nicht überleben. Wo sie aber Glaube ist, da hat das Christentum eine Chance. Die Zeit der hauptamtlichen Rundum-Sorglos-Pastoral kommt an ihr Ende.
Angesichts all der Abbrüche: Worauf ruht Ihre Hoffnung als Christ und als Priester in der Kirche?
Ich bin überzeugt: Das Evangelium hat eine Zukunft. Diese wird allerdings völlig divers aussehen. Und: Es gibt keine Dunkelheit, in der Gott nicht wäre. Beides bezeugen mir unsere Theologiestudierenden hier fast jeden Tag.
Sie sind einer der Hauptreferenten beim 1. Oldenburger Zukunftsforum zur Kirchenentwicklung in Pastoralen Räumen am 24. Juni. Worauf können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei Ihrem Beitrag freuen?
Wie geht und was heißt „Säkularisierung“? Darüber werde ich sprechen. Aber auch darüber: Wie können wir uns als Kirche in dieser Entwicklung positiv verorten, statt sie nur als Verlustgeschichte zu begreifen? Unsere Gemeinschaft ist nicht nur auf der Verliererstraße, sondern wir haben trotz allem eine starke Botschaft – und eine Zukunft!
Das Interview führte Philipp Ebert, Pressesprecher des BMO
Terminhinweis:
- Das 1. Oldenburger Zukunftsforum zur Kirchenentwicklung in Pastoralen Räumen findet am 24. Juni 2023 im Kulturzentrum PFL in Oldenburg (Peterstraße 3) statt. Zur Teilnahme eingeladen sind alle Interessierten aus der katholischen Kirche im Oldenburger Land.
- Neben Professor Dr. Jan Loffeld ist der Pastoraltheologe Hans Hobelsberger einer der Referenten.
- Ziele der Veranstaltung sind Information und Diskussion über den Wandel der Kirche, über Abbrüche und Aufbrüche in eine Kirche der Zukunft.
- Das Programm beginnt um 9.30 Uhr mit einem Stehkaffee und endet um 17 Uhr. Die Teilnahme ist kostenfrei, für das leibliche Wohl ist gesorgt. Anmeldungen sind erbeten per Mail an gabriele.schumacher@bmo-vechta.de
- Hier gibt es weitere Informationen zur Veranstaltung.
Zur Person: Jan Loffeld ist Professor für Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology im niederländischen Utrecht. Seit 2003 ist er Priester des Bistums Münster. 2010 wurde er an der Universität Erfurt promoviert, 2018 auch dort habilitiert. 2020 veröffentlichte er das Buch „Der nicht notwenidge Gott. Die Erlösungsdimension als Krise und Kairos des Christentums inmitten seines säkularen Relevanzverlustes“ im Würzburger Echter Verlag.