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Unklerikales Radfahren verstößt gegen geistlichen Anstand

03. März 2016 - Vechta

Kurioses und Wissenswertes zum Tag der Archive am 5. März

Am kommenden Samstag beteiligt sich das Archiv des Bischöflich Münsterschen Offizialats mit bisher ungehobenen Schätzen am bundesweiten Tag der Archive. Unter dem Thema „Mobilität im Wandel“ haben Archivleiter Willi Baumann und seine Mitarbeiter drei Geschichten aufgearbeitet. Die eines Markhausener Bürgers, der im 19. Jahrhundert in die USA auswanderte, die Geschichte der Steinfelder Seefahrerschule, älteste ihrer Art im Oldenburger Land, und die revolutionär anmutenden Versuche junger Geistlicher, Ende des 19. Jahrhunderts das Fahrrad zum Zwecke der Fortbewegung zu benutzen. Ob dessen Gebrauch gegen geistlichen Anstand verstoße, damit setzten sich Kirchenrechtler, Bischöfe und sogar der Papst auseinander. Was sie dazu geschrieben haben und wie lange ihre Versuche, die Geistlichkeit vom Rad fern zu halten, gefruchtet haben, können Besucher am Samstag von 9.00 bis 17.00 Uhr im Archiv am Karmeliterweg 4 sehen.

Archivleiter Willi BaumannGroßansicht öffnen

Kurioses zum Radfahren der Geistlichen hat Archivleiter Willi Baumann für den Tag der Archive zusammengetragen.

Vikar BeckerGroßansicht öffnen

Vikar Heinrich Becker beschwerte sich bei Bischof Dingelstad über das Verbot des Fahrradfahrens für Geistliche (s. unten).

Karrikatur zum RadfahrenGroßansicht öffnen

Die Berliner Satirezeitschrift „Kladderadatsch“ machte sich 1891 über radfahrende Ordensgeistliche lustig.

Dass sich der seit 1970 amtierende Offizial und spätere Weihbischof Dr. Max Georg Freiherr von Twickel mit dem Rad im ganzen Oldenburger Land bewegt und sogar viele Gefährten zum Mitfahren bewogen hat, wäre wenige Generationen zuvor ein Unding gewesen. Zwar wurde das Fahrrad um 1900 auch im Oldenburger Land aus pastoralen Gründen eingesetzt, doch das Radfahren der Geistlichen blieb lange umstritten. Zum Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten immer mehr Geistliche auf dem platten Land die Vorteile des Fahrrades, kann Archivleiter Baumann belegen. Das zeigen Anträge von Vikaren, Kaplänen und Hilfsgeistlicher, die sich die für Würdenträger als unstatthaft angesehene Fortbewegungsmethode vom Offizial in Vechta genehmigten lassen wollten. Von alten Pfarrern argwöhnisch beäugt, die jeden noch so weiten Weg zu Fuß oder bei besonderen Anlässen mit der Kutsche bewältigten, fuhren immer mehr junge Geistliche ohne Scheu mit dem Rad zu Gläubigen und Gottesdiensten.

1894 hatte Papst Leo XIII. der Geistlichkeit das Radfahren nur zugestanden, wenn es im Interesse der Seelsorge geschehe. Doch im gleichen Jahr hatte die Hl. Kongregation der Bischöfe und Ordensleute in Rom in einem konkreten Einzelfall eine ablehnende Haltung eingenommen. Jeder Bischof konnte den Geistlichen seiner Diözese das Radfahren verbieten. Das tat auch der Münsteraner Bischof Hermann Josef Dingelstad. Wie die Bischöfe der Nachbarbistümer sah er durch das Radfahren das würdevolle klerikale Auftreten gefährdet. Zwei Gesuche oldenburgischer Priester um Erlaubnis zum Fahrradfahren wies er daher 1897 ab. Nicht alle Geistlichen waren damit einverstanden. „So fährt z. B. zwischen Vechta und Goldenstedt ein Omnibus, den ich seit Erlaß des Radfahrverbotes öfter benutzen muß. Ist schon der Wagen, was Reinlichkeit und Ausstattung betrifft, sehr mangelhaft, so ist die Fahrgesellschaft oft so, daß ein Geistlicher immer noch anständiger auf dem Rade als zwischen solchen Leuten sitzt“, beschwerte sich der Goldenstedter Vikar Heinrich Becker bei Bischof Dingelstad. (Weiter s. hier). Doch offensichtlich ignorierten immer mehr junge Mitbrüder das Verbot. Denn schon 1907 sah sich Dingelstad zu einer Wiederholung seines Verbotes genötigt, erklärte sich aber in begründeten Ausnahmefällen zu einer Genehmigung bereit. Diese Verfügung löste eine Flut von Eingaben aus, in denen oldenburgische Priester den Vechtaer Offizial um eben diese Erlaubnis baten.

Mitten im Ersten Weltkrieg, am 12. August 1916, trat aus kriegswirtschaftlichen Gründen reichsweit eine neue Fahrradverordnung in Kraft. Wer weiterhin mit dem Rad fahren wollte, brauchte dazu eine Genehmigung der zuständigen Ortspolizei. Was es damit auf sich hat und wie wenig schmeichelhaft Vikar Becker das Publikum im Bus von Vechta nach Goldenstedt beschrieben hat, können Besucher am Samstag im Offizialatsarchiv sehen. Es werden auch Führungen angeboten.

Ludger Heuer