Für den Hauptvortrag reiste aus Wien der Religionspädagoge Prof. Dr. Martin Jäggle an. Er ging der Frage nach, wie Religionsunterricht zum Erwerb christlicher Haltung beitragen kann. In Workshops ging es anschließend um Haltungsbildung zur Nächstenliebe, Improvisationstheater im Unterricht, den Einsatz von Liedern, Christliche Ethik, den Einsatz von StreetArt, Filmen und Charity-Songs, die Gestaltung von Klassengottesdiensten und biografisches Lernen.
In unserer multi-kulturellen und multi-religiösen Gesellschaft seien nicht Vielfalt und Verschiedenheit das Problem, sondern der Umgang damit, sagte Jäggle. Schule müsse einen Lehr- und Lebensraum gestalten, der das miteinander Leben und Lernen als bereichernde Vielfalt vermittele. Tatsächlich existiere hier aber vielfach eine Moral der (Platz-)Hirsche. Dabei werde Konkurrenz und eigener Vorteil gefördert, humane Charakterbildung verhindert und individueller Ehrgeiz gestärkt. Doch „die Humanität einer Gesellschaft und einer Schule zeigt sich in ihrem Umgang mit Schwäche, und die Humanität eines Menschen zeigt sich in seiner Fähigkeit, die eigenen Schwächen und die anderer zu akzeptieren“, stellte Jäggle klar.
Dafür zitierte er den 1945 von den Nazis hingerichteten ev. Theologen Dietrich Bonhoeffer: „Tatenloses Abwarten und stumpfes Zuschauen sind keine christlichen Haltungen. Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden.“ Solche Werte müsse man auch außerhalb der Schule lernen. Er halte es für ein Problem, Religionsunterricht auf die Vermittlung von Werten zu reduzieren. „Wir haben keinen Mangel an Werten, sondern einen Überfluss.“ Junge Menschen konstruierten sich ihre Haltung aus den Werten, mit denen sie aufwüchsen. Dass Wertevermittlung in erster Linie im praktischen Leben und nicht in der Schule geschehe, habe schon Sokrates gewusst. „Und diese Erkenntnis ist heute noch gültig“, sagte Jäggle. Er habe eine Vision vom Reich Gottes in der Schule. Dazu gehöre eine Kultur der Anerkennung jeder Leistung, niemanden an den Rand zu drängen, Außenseiter zu integrieren und ein schülerfreundliches Klima, in dem Lernen als sinnvolle Tätigkeit und Bereicherung erlebt werde.
„Um die Frage, wer mein Nächster ist, können wir uns als Christen nicht herumdrücken“, sagte der ev. Schulpfarrer und Mitorganisator der Veranstaltung, Frank Willenberg, in seinem Schlusswort. Ihn packe das Grausen, wenn von Mauern und Zäunen zur Abwehr von Flüchtlingen oder der Kriminalisierung von Seenotrettern die Rede sei. Christen könnten nur dann als die besseren Menschen verstanden werden, wenn Christsein nicht nur wie ein austauschbares Religions-Etikett verstanden werde und es nicht nur um die eigene selbstverliebte Spiritualität gehe. Im Religionsunterricht dürfe nicht nur Wissen vermittelt werden, sagte Weihbischof Wilfried Theising, sondern es gehe darum, Menschen dabei zu helfen, dass sie ihre Haltung zu Leben und Mitmenschen finden. „Dabei müssen wir uns vom Heiligen Geist leiten lassen. Denn wir wollen die Menschen nicht manipulieren, sondern die Freiheit an die erste Stelle setzen.“
Ludger Heuer
Aktuelles
Über die Moral der Hirsche
19. September 2019 - Stapelfeld
Religionslehrkräfte diskutieren über die Chance, im Unterricht Haltung zu bilden
Zum 17. Mal hatten die Universität Vechta, das Bischöflich Münstersche Offizialat und die Arbeitsstelle für Religionspädagogik der Ev.-luth. Landeskirche zu Oldenburg zum Tag des Religionsunterrichts eingeladen. Über einhundert katholische und evangelische Pädagogen folgten der Einladung in die Katholische Akademie Stapelfeld. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen die Fragen: Wer ist mein Nächster und: Wie kann im Unterricht Haltung entstehen?. Dieser Tag sei eine feste Instanz an der Universität Vechta, sagte Prof. Dr. Britta Baumert zur Begrüßung. Sie freue sich immer wieder, wie viele Religionslehrkräfte mit großer Begeisterung aus den Schulen hierzu kämen.