Cloppenburg/Oldenburger Land. Das Gefühl, im Leben geführt zu werden – das beschrieb der französische Philosoph und bekennende Atheist Jean-Paul Satre (1905–1980) am Ende seines Lebens. Wie es sich anfühlen und äußern kann, sich von etwas oder jemandem angesprochen zu fühlen, einen inneren Ruf zu spüren, das stand jetzt bei der Premiere der Veranstaltungsreihe „Angesprochen. Wege und Umwege zum Sinn“ im Mittelpunkt. Rund 200 Menschen waren dafür in die Cloppenburger Kirche St. Josef gekommen. Das Programm: Gottesdienst mit Weihbischof Wilfried Theising, Podium mit persönlichen Einblicken von der Sinn-Suche, Austausch und Imbiss.
Für Martina Weiler-Berges war es ein persönlicher Schicksalsschlag, der sie ihre professionelle Berufung finden ließ. In jungen Jahren wollte die aus Braunschweig stammende Psychiaterin Philosophie oder Chemie zu studieren. Dann wurde sie in ihrem engsten Umfeld mit Krebs konfrontiert. „Ein Schicksalsschlag“, sagt sie, weckte in ihr die Motivation, Medizin zu studieren. Doch vorher war eine kurze Ausbildung zur Krankenpflegehelferin dran. Der Vater wollte es so, um seiner Tochter zu ermöglichen, den medizinischen Studienwunsch mit der Realität der Heilungsberufe zu konfrontieren.
Weiler-Berges blieb bei ihrem Wunsch, doch statt als Onkologin Krebs zu bekämpfen, wählte sie den Weg in die Psychiatrie. „Warum?“, fragte der Philosoph und Pfarrer Dr. Marc Röbel, der das Podium moderierte. Ihr akademischer Lehrer und späterer Doktorvater sei ihr zum Vorbild geworden, berichtet die Medizinerin, Ehefrau und Mutter erwachsener Kinder. Und: In der Psychiatrie verbindet sich die Naturwissenschaft mit philosophischen Perspektiven – eine Verbindung ihrer beiden Leidenschaften.
Auch eine Frage kann einschneidend sein, berichtete bei „Angesprochen“ der 34-jährige Priester Lars Schlarmann. Der aus Steinfeld stammende Kaplan der Cloppenburger Pfarrei St. Andreas erzählte von dem, was zu Schulzeiten sein Wunsch war: Mediziner werden, ein Haus bauen, einen Garten anlegen in dem drei Kinder spielen, zwei Autos besitzen… wie man das Berufs- und Familienglück eben lebt oder sich erträumt. Dann kam die Zulassung für den Medizinstudienplatz, berichtet Schlarmann, und seine Eltern fragten ihn: „Das ist es doch nicht, was du willst, oder?“
Die Frage der Eltern traf ins Schwarze. „Was dann?“, ging es weiter, und die Antwort des heranwachsenden Lars brachte die Eltern „zum Schlucken“: Priester werden. Doch Schlarmann prüfte sich erst, studierte Theologie und weitere Fächer auf Lehramt. Gewissermaßen als Notausgang. Doch den brauchte er nicht. Nach Studium und kirchenhistorischer Promotion wurde er 2021 in Münster zum Priester geweiht.
„Unser Geschäft ist die Wahrheit“, berichtete der in Florenz, Melle, Hannover und Thessaloniki aufgewachsene Journalist Giorgio Tzimurtas dem interessierten Publikum über sein Handwerk. Stets gelte es für Politikreporter wie ihn, Plausibilitäten von Behauptungen gegeneinander aufzuwägen, Menschen zu informieren, Dinge einzuordnen, Missstände zu kritisieren und Debatten anzustoßen. Journalismus, so wie Tzimurtas ihn versteht, sei daher eine „Lebensform“ – und zwar eine anspruchsvolle, die mitunter auch private Opfer erfordere.
Er selbst habe den Weg zum professionellen Journalismus „erst spät“ gefunden, mit 30 Jahren, berichtete Tzimurtas. Doch als sich die Chance auf eine redaktionelle Ausbildung in dem damals sehr umkämpften Arbeitsfeld ergab, stellte er die Forschung für seine germanistische Doktorarbeit ein und zog vom Studienort Köln nach Vechta. Dorthin, in die Provinz, von wo er ein Jobangebot erhalten hatte – und wo er in den folgenden Jahren seine Berufung als Politik- und Agrarjournalist fand.
Auch weit ist der geographische Weg, der Barbara Kienel ins Oldenburger Land geführt hat: von München nach Lohne. Und ihre Arbeit als Kirchenmusikerin? „Ich bin da so hereingerutscht – aber das war kein Zufall“. Als Kind eines Küsters, als Schülerin einer Münchener Klosterschule, da sei sie schon „in kirchlicher Rahmung“ aufgewachsen, sagte die in der Lohner Pfarrei St. Gertrud tätige Kirchenmusikerin. Was hat sie aber zum Beruf gebracht? Die „Freude mit der Arbeit Menschen und Kindern“ einerseits. Anderseits auch mystische Eindrücke: das kindliche Gefühl von Aufregung im Kirchenraum, der Eindruck des „Leuchtens“ der „Heiligen Halle“, wie es in einem der vielen eindrücklichen Gesänge des Kirchenjahres, dem „Frohlocket“ aus der Osternacht, heißt. Bei Kienel war es die Großmutter, die mit ihr in die Kirche ging für ein kurzes Gebet, um eine Kerze anzuzünden – und das Kind saugte die mystische Stimmung auf.
Und wie ist es nun mit dem Ruf der Wahrheit? Nicht der empirisch-belegbaren Wahrheit, die das Geschäft von Richterinnen und Journalisten ist; sondern der Wahrheit im transzendent-spirituellen Sinne, die Christen im Dreieinigen Gott erkennen? Die Ärztin Dr. Weiler-Berges sagte, für sie sei eine Heilung von Krankheiten „ohne Transzendenz“ ungenügend. In der Erosion kirchlichen Lebens sieht sie eine Gefahr für die Gesellschaft; stattdessen wünsche sie sich ein starkes kirchliches Leben: befreit und gleichberechtigt.
In der gegenwärtigen Situation erkennt Journalist Tzimurtas eine „Katharsis“ für die Kirche, eine reinigende Säuberung. Kirche, Glaube und christliche Botschaft blieben auch in Zukunft als „integrative Kraft“ für Deutschland und Europa bedeutsam: „Warum sollen wir etwas aufgeben, was uns Jahrhunderte zusammengehalten hat?“, fragte der Reporter. Er wünscht sich zugleich, dass sich die Kirche „noch stärker Schwachen und Bedürftigen zuwendet“ und „mehr Demut zeigt als früher“.
Eine Ahnung letzter Geborgenheit, davon berichtete Barbara Kienel. Als junge Frau musste sie eine gute Freundin durch Suizid verlieren. Begleitung und Trost fand sie bei einer Ordensfrau – und eine Ahnung von letzter Geborgenheit bei Gott auch für die verstorbene Freundin.
Schlarmann sagte auf Röbels Frage nach dem Angesprochen-Sein durch Gott: Er habe noch keine bessere Botschaft für unsere Welt gehört. Ihm sei und bleibe es ein spirituelles Anliegen, „Menschen in die Freiheit zu führen, die das Leben gelingen lässt“.